Philosophie
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Kurzbeiträge
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- Unterstüzen statt erziehen – Nachgefragt
- Tonis Brief an die Katze
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- Selbstliebe – Das Große Ganze
Selbstliebe – Das Große Ganze
Angefangen hat alles wohl mit dem Big Bang, dem Urknall. Vor Milliarden von Jahren. Dann ging es rasant los. Alles wurde. Die Miliarden Galaxien. Darin jeweils die Milliarden Sterne und später Abenteurer wie Blaue Zwerge, Rote Riesen, Schwarze Löcher. Dann tatsächlich auch: unsere Sonne. Und ihre Planeten: Merkur, Venus und als Nummer Drei: die Erde. Heimatplanet in den unendlichen Tiefen des Universums. Und weiter: Steine, flüssig und fest, schließlich in der Ursuppe erstes Leben. Noch weiter: Pflanzen. Und Tiere. Fische und Saurier und Affen und Menschen. Die mit dem Riesengehirn und der losen Hand. Sie erdenken heutzutage endloses Zeug in ihren Philosophien und Büchern und basteln mit ihren flinken Fingern Mikrochips, Atomkraftwerke und Verkehrsschilder.
Jeder kennt Verkehrsschilder. Zum Beispiel das mit den zwei Autos, eins schwarz und eins rot ... Überholverbot. Ärgerlich. Wie fast alle Schilder. Eine ärgerliche Schilderwelt. Eine ärgerliche Welt überhaupt – Leid, Vernichtung, Untergang. Was soll das Ganze?
Es ist eine Frage der Perspektive, der Interpretation, des großen Nachdenke‑Raums, in dem ich unterwegs sein will. Unterwegs sein soll. Sollte. So wie es uns beigebracht/vorgeführt/vorgelebt wurde, als wir hier ankamen, in der Kindheit. Und was gab es? Ein unermessliches und alternativloses Hintergrundrauschen, die Subtextbotschaft aller Botschaften, und oft genug auch der klare Klartext: Hier ist nicht das Paradies! Hier ist ein leid‑ und mühevolles Erdendasein. "Was hast Du jetzt schon wieder angestellt?!" Kind. Und überhaupt: Mensch.
Im amicativen Blick auf das Große Ganze, Urknall und so weiter, kann ich diese betrübliche Story von Jammer und Co nicht als der Weisheit letzten Schluss erkennen. Ich sehe radikal anderes: Konstruktivität, Vertrauen, Liebe. Dieses – jedes! – Verkehrsschild wird von Verkehrsschild-Ausdenkern deswegen gemacht, weil sie Positives im Schilde führen – sie wollen anderen helfen. Kein Schild wird aufgestellt aus Bösartigkeit. Nur aus Fürsorge, höher gegriffen: aus Güte, noch höher: aus Liebe. Wenn ich ein Überholverbotsschild sehe, überhöre ich diesen Klang nicht. Ich kann mich über vieles ärgern, auch über Verkehrsschilder. Aber mir entgleitet nicht mehr, dass diese Dinge nicht mit Ärgerabsicht gemacht werden. Sondern aus einem konstruktiven Kosmos heraus. Das gilt für alles von Menschen Gemachte. Zum Beispiel auch für die unzähligen Dinge einer Stadt, dieser künstlichen, artifiziellen Welt. Von Bürgersteigplatten bis zu Hochhäusern. All dies dient jemandem – dem, der es inszeniert hat. Aus seiner Konstruktivität und seinem Sinn.
Aber wir reagieren nicht so. Sondern wie gelernt, geglaubt, erzogen. Radarblitzer sind doof. Ach ja? Sie sind liebevolle Begleiter, ersonnen und gefertigt und aufgestellt von diesen konstruktiven Wesen. Sie sind Materie gewordene Liebe.
Stopp ‑ mehr Quatsch geht nicht! Das stimmt. Aber nur, wenn dieses destruktive Hintergrundrauschen die Macht hat. Was nicht die wahre Wahrheit sein muss. Jedenfalls nicht meine. Ich sehe, dass der Sternenkosmos funktioniert. Alles hat seinen Platz, alles dreht sich oder auch nicht, die Sonne hält die Planeten in der Bahn. Die Äste und jeder klitzekleine Zweig wachsen so, wie ihr Insgesamt (Licht, Gravitation, Nährstoffe, Wasser, Wind ... ) dies zustande bringt. In majestätischer Harmonie, in unermesslicher Konstruktivität. In der Grundmusik: Liebe.
Konstruktivität/Vertrauen/Liebe – dieses Kernelement gilt für alles. Für jede Galaxie, für jeden Stern, jeden Grashalm, jeden Regenwurm, jeden Menschen. Und selbstverständlich auch für mich. Daran kann ich aktiv teilhaben: Ich kann mich so lieben, wie ich bin, in allem und jedem, was immer ich tue, denke, fühle. Jederzeit.
In mir – wie in jedem anderen Menschen – entdecke ich dieses Große Ganze als Hintergrund. Wir sind daraus gemacht. Wir entstehen so. Und wir sind erfüllt von diesem Szenario, wir werden nach neun Monaten Aufenthalt in diesem Großraum der Liebe als materialisierte Liebe geboren. Nur, dass es dann diese Verführung gibt, aus liebevoller bester Absicht: diese Story vom Bösen und all seinen Gefolgsleuten. Und dass wir als Kinder unserer Kultur und Zeit dies auf unserer Festplatte im Kopf als real gespeichert haben. Doch das Programm kann man ändern. Ich habe es für mich geändert. Ich liebe mich so wie ich bin. Kürzer: Ich liebe mich. Noch kürzer: Ich bin Liebe. Wie jeder von uns, wie alles, was da kreucht und fleucht.
Deswegen höre ich nicht auf, immer wieder zum Ärgernis für andere zu werden. Aber nicht, weil ich ein Ärgernis bin, sondern weil sie mich so sehen, sehen müssen, mit ihren Augen aus ihrer gelernten Welt, oder aus ihrem Schmerz heraus. Darauf kann ich eingehen und mein Tun ändern. Um ihr Leid zu verringern. Und das tue ich auch immer wieder, sensibel wie man ja auch ist und mehr und mehr wird. Oder ich korrigiere nichts, weil ich mir selbst im Wort bin. Die anderen werden dann aus ihrer Konstruktivität heraus dagegenhalten oder auch nicht. Und: das Leiden aneinander verändert ja nicht die Hintergrundmusik. Wir sind Kinder der Liebe, der großen konstruktiven Energie, welche die Unendlichkeit des Universums durchflutet – und auch jeden von uns. All die Zeit, die wir leben, jeden großen Tag unserer kleinen hundert Jahre.
Die Selbstliebe ist stets in Resonanz mit der Liebe des Großen Ganzen. Ich kann dieses Gefühl der Konstruktivität immer wieder auch auf mich konzentrieren, über mich als "aus Liebe sein“ nachsinnen, in mein Nachdenken und Spüren hineinziehen. "Liebe sein“ – das ist die amicative Musik, der Raum, in dem ich leben will, gerne und erfüllt lebe. Gilt auch für Verkehrsschilder und andere Ärgernisse. Gilt für alles, für Rote Riesen, Fische, Menschen, Partner, die Kinder – nichts und niemand fällt da heraus. Das versöhnt tief drinnen. Selbstliebe ist ja auch etwas Schönes, Freude, frohe Botschaft.